Das kirchliche Leben entfalte sich vor Ort in den Kirchengemeinden. Dort Gemeinschaft und Spiritualität anzubieten und Menschen vorurteilsfrei einzuladen, das sind die Handlungsempfehlungen, die der Hauptreferent des Synodensamstags, Bischof i.R. Jochen Bohl, der Kreissynode mit auf den Weg gegeben hat. In seinem Vortrag, angelehnt an sein „Was nun? Kirche im Wandel“, legte er eine deutliche Analyse des Säkularisierungsprozesses vor: Die Austrittszahlen seien ein Schock für beide christliche Kirchen. Kirchliche Bindung sei nicht mehr das Normale. Seine eigenen vier Enkel seien nicht ehelich geboren und nicht getauft. „Das ist Realität in der Gesellschaft und das dürfen wir nicht verdammen, das ist einfach so.“
Die evangelische Kirche werde kleiner, trotz aller wirksamen Prozesse: trotz des enormen Erfolgs des Deutschen Evangelischen Kirchentags, des Dialogs mit dem Judentum, der Taizé-Bewegung, der neuen Abendmahlsfrömmigkeit, der Bibel in heutigem Deutsch, dem neuen geistlichen Lied, der Friedensethik, der Blüte der Hauskreise und vielem mehr. Die Finanz- und Wirkungsmöglichkeiten der Kirche werden geringer, der Rückbau von Gemeindestrukturen und Gebäuden steht an.
Der Schrumpfungsprozess schmerzt
Diesen Prozess habe Jochen Bohl, ehemals stellvertretender Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, in seinen 30 Jahren in Sachsen bereits erlebt. „Wir haben viele Erwachsenentaufen in Sachsen, trotzdem: Wir schrumpfen. Unsere Kirchen sind wunderschön, aber oftmals können wir keine Gottesdienste anbieten.“ Vergangenem nachzutrauern habe dabei keinen Sinn. „Das ist ein Verlust, den man sich eingestehen darf, der schmerzt und die Seele belastet.“ Die geistliche Haltung müsse gerade deshalb sein: „Mehr werden zu wollen. Die Geistorientierung muss auf Gelingen ausgerichtet sein, auch wenn der Erfolg nicht garantiert ist.“ Wandel zu gestalten sei einfacher als das Schrumpfen einfach hinzunehmen.
Mehr Glauben, mehr Gemeinschaft
Entscheidungen, etwas zu verändern, sei oftmals nicht angenehm, aber unausweichlich. Das betreffe inhaltlich neue Schwerpunktsetzungen, das Reduzieren von Pfarrstellen, die Aufgabe von Gebäuden. Das Reduzieren der Pfarrstellen hat der Kirchenkreis mit dem Pfarrstellenkonzept 2030 bereits in Angriff genommen und um ein Drittel reduziert. Bis 2030 wird der Kirchenkreis An der Agger noch drei Stellen auf Kirchenkreisebene haben, 23 Pfarrstellen wird es in den 24 Kirchengemeinden geben.
Wenn die Kirche es schaffe, den Wandel aktiv mit bewussten Entscheidungen zu gestalten, habe sie eine Chance, nämlich den reformatorischen Kern des kirchlichen Auftrags neu in den Blick zu nehmen: den Glauben in Gemeinschaft zu leben in einer Gesellschaft der Singularitäten.
Das zentrale Wirkungsfeld der Kirche sieht Bohl dabei vor Ort in den Kirchengemeinden. „Aus theologischer Sicht darf sich die Kirche nicht aus der Fläche zurückziehen. Eine Abkehr von der parochialen Struktur kann es nicht geben.“ Im Fokus der kirchlichen Arbeit sieht Bohl die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien. Er betont: „Familie bedeutet nicht mehr: Mutter und Vater verheiratet, zwei Kinder.“ Familie könne auch eine Gruppe von sechs schwulen Freunden sein. Eine Kirchenbindung entstehe durch gelungene Erfahrungen als Kind: „Junge Eltern warten darauf, von den Kirchengemeinden stärker angesprochen zu werden.“ Junge Leute hätten oft den Verdacht: „Kirche ist doch nur eine Institution, die dir sagt, was du tun und lassen sollst.“
In seinem Superintendentenbericht hatte Michael Braun das Aufstehen und Handeln angemahnt, reduziert auf die klare, zentrale Aufgabe der Kirche: Das Weitersagen von Gottes Wort. „Dem muss alle Arbeit der Kirche dienen.“
"Wir müssen an uns als Kirche arbeiten"
Wie die Gemeinschaft vor Ort allerdings ausgestaltet werden könne, dabei brauchen die Kirchengemeinden noch mehr Ideen und hätten sich auch von dem Vortrag noch mehr Handlungsoptionen versprochen. In der Diskussion fragte etwa Pfarrer Michael Striss (Kirchengemeinde Wiehl): „Wie kann man in der Fläche präsent sein, wenn man Gemeindehäuser aufgeben muss?“ Pfarrer Stefan Frisch fand es schwierig, sich in der Gemeindearbeit nur auf die Familien zu konzentrieren. Diversität sei ihm sehr wichtig. Schulpfarrer Hans-Georg Pflümer (Bonhoeffer-Gymnasium) mahnte: „Wir müssen Vertrauen gewinnen bei Leuten, die nicht in Familien leben, die nicht aus Deutschland kommen, die geschlechtlich divers sind.“ Pfarrer Kirsti Greier (Kirchengemeinde Marienberghausen) war selbstkritisch: „Wir müssen an uns als Kirche arbeiten.“
„Kirche auf dem Markt“ als Abenteuer
Um aktiv und kreativ Wandel gestalten zu können, hat die Kreissynode mit großer Mehrheit die Stelle „Kirche auf dem Markt“ auf den Weg gebracht, immerhin eine von nur drei Pfarrstellen, die der Kirchenkreis künftig noch haben wird. (Auf Ebene der 24 Kirchengemeinden werden es 23 Pfarrstellen sein.)Besetzt werden kann die Stelle durch eine/n PfarrerIn, eine/n GemeindereferentIN oder eine/n DiakonIn. Durch diese volle Stelle, begrenzt auf zunächst fünf Jahren, sollen Menschen angesprochen werden, die der Kirchenkreis bisher nicht erreicht. Superintendent Michael Braun: „Wir verlassen damit unsere bekannten Wege und ich weiß nicht, ob das klappt.“ Jugendreferent Harald Hüster: „Das ist ein Abenteuer, auf das sich junge Theologen gerne einlassen. Sie suchen gar nicht eine Pfarrstelle auf Lebenszeit.“ Holger Naumann, Kreissynodaler aus Waldbröl, sagte: „Ausprobieren muss ein Modus sein, in den die Kirche kommen muss.“
Die Kreissynode richtete eine AG Kirchenkreisausschüsse und -beauftragungen ein. Abläufe in den Ausschüssen der Kreissynode sollen verschlankt und vereinfacht werden, um sorgsam mit der Zeit von Haupt- und Ehrenamtlichen umzugehen.
Pfarrerin Alexandra Pook neu im Kreissynodalvorstand
Als neues Mitglied in den Kreissynodalvorstand wählte die Synode Alexandra Pook. Die 51-jährige Pfarrerin aus der Kirchengemeinde Hülsenbusch-Kotthausen wird als zweite stellvertretende Skriba in der Leitung des Kirchenkreise mitarbeiten. Als ehemalige katholische Theologin stehe sie für die Themen Ökumene, Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Spiritualität. Alexandra Pook wird im KSV die Nachfolgerin von Pfarrer Helmut Krüger, der von der Kreissynode verabschiedet wurde.
Krüger geht im Dezember als Pfarrer der Kirchengemeinde Gummersbach in Ruhestand. „Ich war auf 40 Synoden und habe diese immer als bereichernd erlebt.“
Kirche als geistliche Heimat
Begonnen hat der zweite Synodentag mit einer Andacht von Schulreferent Pfarrer Matthias Weichert in der Dieringhauser Kirche, begleitet von Kreiskantorin Dr. Annemarie Sirrenberg am Klavier. Er stellte die biblische Geschichte von Jona (in den Mittelpunkt
Grußworte sprachen Kreisdechant Christoph Bersch und Jürgen Marquard, stellvertretender Bürgermeister von Gummersbach. Bersch lobte die ökumenische Zusammenarbeit und nannte es eine Ehre, bei der Synode dabei sein zu dürfen, das nehme er mit. „Wenn ein Glied geehrt wird, werden alle geehrt.“ Jürgen Marquardt sieht die Kirche als geistliche Heimat. Die Kreissynode sei ein wichtiges Ereignis, nicht nur für die Kirche selbst. Wichtig sei hier wie überall, „wie wir die Jugend einbinden. Kirche kann Jugendlichen das bieten, was sie brauchen“. Zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie fehlende Partizipation und sinkende Finanzen sagte Marquardt: „Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel richtig setzen.“
HERBSTSYNODE Stehen wir auf, gerade jetzt! (ekagger.de, 21.10.2022)
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Medienecho
Superintendent Michael Braun macht Mut zum „Aufstehen“ | Kölnische Rundschau (rundschau-online.de)
www.ekagger.de | jth | Text: Judith Thies | Fotos: Kirchenkreis An der Agger/Vera Marzinski