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KIRCHE IM WDR Anneke Ihlenfeldt ist Sprecherin bei den Radio-Andachten

  • Andacht

Ein kurzes Atemholen mit guten Gedanken sind die Morgenandachten im WDR-Radio. Hilfreich und aufbauend, sagt der Sender zu. Und das stimmt!

Anneke Ihlenfeldt, Pfarrerin für Kirche Auf dem Markt, war heute morgen erstmals im Programm "Kirche im WDR" zu hören. Seit kurzem gehört sie zum Sprecherteam.

In dieser Woche vom 24.6. bis zum 29.6. ist sie morgens zu hören

  • um 6.55 Uhr in WDR5
  • um 7.50 Uhr in WDR3
     
  • um 8.55 Uhr auf WDR4

In ihren Andachten geht es um Geschichten von besonderen Menschen, um Tage mit Goldrand. 

Tage mit Goldrand (Andacht vom 24.6. zum Anhören)

Guten Morgen. "Am Strand gibt es viele Menschen. Ich sammle die schönsten von ihnen.“ Das schreibt der achtjährige Siegfried auf eine Karte. Vorne sieht man in schwarz-weiß eine Düne - hinten seine ungelenke Kinderhandschrift und diesen Satz. Eine Kinderpostkarte aus dem Kindererholungsheim. Die zuhause haben ganz schön gestutzt, als sie irgendwann an einem Junitag in den 1950er Jahren diese Worte lesen. Der Jung ist doch an der Nordsee, um Sonne und Essen zu tanken. Damit er wieder was auf die Rippen bekommt nach Flucht und Hungerjahren. Am Strand soll er tüchtig die gute Luft atmen! Aber Menschen sammeln? Die Familie rätselt, was ihr Ältester damit meint. Die Karte wird an den Küchenschrank geklemmt. Immer wieder schauen sie drauf. Auf dem Weg in den Stall oder in die Milchkammer.

Eines Abends, als die Junisonne ihr goldenes Licht in die Küche ergießt und die Familie bei Graubrot und Speck sitzt, lacht die Mutter auf einmal ihr heiseres Lachen: "Muscheln“, lacht sie. Siegfried hat sich verschrieben: Er meint "Am Strand gibt es viele Muscheln.“ So wird ein Schuh draus. Niemandem ist dieser Fehler aufgefallen. Nicht den Tanten im Heim und Siegfried schon gar nicht. Er kommt zurück mit ein paar Pfund mehr auf den Rippen und einer lebenslangen Abneigung gegen Milchreis. Vor allem aber mit einer Abneigung gegen Tanten. Die Karte klemmte immer noch am Küchenschrank. Er wird groß. Nicht sehr, aber immerhin. Und älter wird er. Irgendwann verlässt er den elterlichen Hof. Er heiratet und wird Vater. Mein Vater. Die Karte bleibt bei meiner Oma. In einem kleinen Kasten mit Kostbarkeiten: eine kaputte Uhr, eine Kette, eine Sammeltasse mit Goldrand.

Ich war Kind und liebte es, meine Oma zu besuchen. Sie buk den besten Pfannekuchen. Mit Margarine und Zucker. Manchmal durfte ich mit den Kostbarkeiten spielen. Vorsichtig, natürlich. Sie waren wertvoll. Nur wenige Dinge hatte meine pragmatische Oma als Erinnerungsstücke aufbewahrt. Umso wichtiger waren ihr diese Stücke.

Einmal hat mir Oma die Geschichte von der Karte und den geheimnisvollen Sätzen darauf erzählt. Sie erzählte es mit ihrem heiseren Lachen in der Stimme. Mir kam es so vor, als würden ihre dicken Brillengläser die Junisonne der vergangenen Zeit widerspiegeln. "Am Strand gibt es viele Menschen. Ich sammle die schönsten von ihnen.“ Die Karte ging irgendwann verloren. Die Sätze habe ich behalten. Heute, am 24. Juni, feiern wir in den Kirchen den Johannistag. Wir feiern die langen hellen Sommerabende. Die frühen Morgenstunden mit Gold im Mund. Die Sonne gibt manchen Tagen einen Goldrand. Morgens oder abends. Und zwischendurch.

Seitdem ich die wundersamen Sätze meines Vaters gelesen habe, mag ich Menschensammeln. Die schönsten von ihnen will ich diese Woche teilen. Die Menschen und ihre Goldrand-Momente. Solche mit heiserem Lachen. Oder mit kleinen Tränen. Große Feiertage oder kleine Augenblicke.

Da, wo Gottes Licht hervorscheint. Juni-Sonne oder Kellerlicht. Ich glaube nicht, dass es irgendwas wegnimmt von Krieg und Hunger. Von dem, was Kinder manchmal Schlimmes erleben.

Ich glaube an Goldrand-Momente. Ich glaube an sie - trotzdem. Und Mittendrin.

Es grüßt Sie, Pfarrerin Anneke Ihlenfeldt aus Gummersbach.

 

www.ekagger.de | jth | Foto: Anneke Ihlenfeldt

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Anneke Ihlenfeldt spricht in ihren Andachten über ganz besondere Menschen.