Am 7. Oktober 2024 jährt sich der Überfall der Hamas auf Israel zum ersten Mal, seitdem ist Krieg im Heiligen Land. Am Vorabend dieses Jahrestages haben Juden, Christen und Muslime aus dem Oberbergischen zu einem interreligiösen Gedenken nach Gummersbach eingeladen. Die Gedenkveranstaltung war für eine Stunde geplant, daraus wurden mehr als anderthalb. Die Besucherinnen und Besucher waren sichtlich bewegt von den Friedensgebeten und der Musik.
Drei Vertreter der abrahamitischen Religionen hielten eine Ansprache: Abraham Lehrer, Vorsitzender der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Rafet Öztürk, Dialogbeauftragter der Türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DiTiB) Köln sowie Christoph Bersch, Kreisdechant im Oberbergischen Kreis. Die Begrüßung übernahm Michael Braun, Superintendent des Kirchenkreises An der Agger, der das interreligiöse Gedenken initiiert hatte.
Brauns Wunsch war es, mit einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung ein Zeichen der Versöhnung zu setzen. 1200 Tote habe es bei dem grausamen Überfall der Hamas gegeben, 251 Menschen seien in Geiselhaft genommen worden. Israel habe danach sein Recht auf Selbstverteidigung ausgeübt. Seitdem seien mehrere Zehntausend Menschen auf beiden Seiten gestorben. Michael Braun: „Eine solche gemeinsame Veranstaltung zu diesem Anlass kann für manche auch eine Zumutung sein. Wir glauben aber, dass Krieg und Konflikte nur überwunden werden können, wenn man sich gerade in solchen Zeiten begegnet. Miteinander reden verlangt weite Herzen.“ Vielleicht könne man das Wort Zumutung auch anders verstehen, „so, dass wir Mut zum Frieden bekommen“.
„Das Leid auf beiden Seiten ist fürchterlich“
Abraham Lehrer, Vorsitzender der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, kam mit Polizeischutz direkt von einer Gedenkveranstaltung in Wuppertal. Er stellte klar: „Das Leid auf beiden Seiten ist fürchterlich. Jedes Kind, das stirbt, ist eines zu viel, egal auf welcher Seite.“ Seine deutliche Botschaft angesichts des terroristischen und antisemitischen Überfalls der Hamas vom 7. Oktober 2023 und der Folgen für Juden auch in Deutschland: „Ich bitte Sie um ein Zeichen, das ausdrückt: Wir wollen Euch hier haben, nicht nur geduldet, sondern gewollt als jüdische Mitbrüder und Mitschwestern.“ Er bitte um Zivilcourage, wenn über Minderheiten gehetzt werde. „Die Muslime brauchen Schutz, die Juden brauchen Schutz, alle Minderheiten brauchen Schutz.“
Innerhalb der jüdischen Gemeinde in Köln mache sich Verunsicherung breit, sagte Abraham Lehrer. Die Zahl antisemitischer Drohungen und Übergriffe sei seit dem Überfall der Hamas und dem daraus folgenden Krieg explodiert. Laut einer aktuellen Umfrage leugneten 19 Prozent von 1300 Befragten die Shoa, zwölf Prozenten glaubten, das Judentum verlange Ritualmorde an Kindern. "Diese Zahlen sind schockierend."
Er bedaure, dass die Zeiten der Lichterketten als Solidarität mit Juden vorbei seien. Bei aller Kritik, die man gegenüber der israelischen Regierung und ihrer Siedlungspolitik äußern dürfe, sei das Existenzrecht Israels unantastbar. Aus einer berechtigten Kritik an Premier Benjamin Netanjahu dürfe nicht die Forderung entstehen, den Staat Israel abzuschaffen. Zwei Tage nach dem jüdischen Neujahrsfest sagte Abraham Lehrer: „Das vergangene Jahr war herausfordernd. In das neue Jahr 5785 (nach jüdischem Kalender) wollen wir mit Hoffnung starten.“
"Wohin geht die Menschheit jetzt?"
Der Islamwissenschaftler und Politologe Rafet Öztürk, Beauftragter für Zusammenarbeit und Dialog der Ditib in Köln, rief dazu auf, sich für Frieden stark zu machen. „Die, die von Liebe predigen, dürfen nicht schweigen.“ Seit tausenden von Jahren gebe es Konflikte im Nahen Osten. Aber der 7. Oktober habe ihn erschüttert und traurig gemacht. „Ich habe eine Woche nicht verstanden, was da passiert ist. Wohin geht die Menschheit jetzt? Wie gehen wir miteinander um?“
Es dürfe in der deutschen Gesellschaft nicht zu einer ethischen Erosion kommen, sagte Rafet Öztürk, die Grenzen des Erträglichen dürften nicht verschoben werden. Der Koran drücke es wunderbar in Sure 30, Vers 29 aus: Dort werde die Verschiedenheit der Sprachen und Farben der Menschen als gewünschte Vielfalt gepriesen. „Es ist unsere Pflicht, uns gegen Hass und Hetze zu wehren. Wir dürfen Augen, Herzen und unseren Verstand nicht verschließen.“
„Wir sind alle Kinder des einen Gottes“
Kreisdechant Christoph Bersch hat auf seinen Reisen nach Israel, Jordanien oder Ägypten viel Gastfreundschaft erlebt. Er betonte die Gemeinsamkeiten der drei abrahamitischen Religionen. „Wir sind alle die Kinder des einen Gottes. Unsere Religionen zeichnet aus, dass wir den Namen Gottes ehren.“ Religionen führten keine Kriege, „nur fanatische Menschen, die den Namen Gottes missbrauchen, führen Kriege“.
Sehr persönlich erzählte Christoph Bersch von seinem Vater, der als 17-Jähriger in den Krieg gezwungen worden sei. Er habe sehr unter der französischen Kriegsgefangenschaft gelitten, sich aber später immer für Frieden und Freiheit eingesetzt. Deutschland und Frankreich seien lange Erzfeinde gewesen und lebten heute in starker Freundschaft. Das gebe ihm Hoffnung für den Nahen Osten. „Aus Hass kann Miteinander werden mit Hilfe unseres einen Gottes.“
Zum Vorbereitungskreis der Gedenkveranstaltung gehörten auch die Oberbergische Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit (CJZ) sowie die Freundeskreise Wiehl-Jokneam und Nümbrecht-Mateh Yehuda. Friedensbitten sprachen Frank Bohlscheid, Vorsitzender der CJZ, und Judith Dürr-Steinhart, Vorsitzende des Freundeskreises Wiehl-Jokneam sowie Mahir Örgüz, Religionsbeauftragter der Ditib Köln. Er trug seine Friedensbitte auf Arabisch als Gesang vor und übersetzte das Gebet dann auf Deutsch: „Wir bitten die Politiker, friedvolle Entscheidungen zu treffen. Allah, mach uns zu Werkzeugen deines Friedens. Wir wollen aktive Friedensstifter werden. Amen.“
„Herr, gib uns Deinen Frieden“
Stephan Aschenbrenner am Saxofon und Annette Giebeler am E-Piano rahmten die Gedenkstunde musikalisch ein. Besonders die Stücke „Hevenu Schalom Alechem“ und „Spiegel im Spiegel“ von Arvo Pärt vor dem stillen Ausgang am Schluss blieben im Kopf haften. Mucahit Fatih Evliyaoglu bewegte die Besucherinnen und Besuche mit zwei Stücken auf einer Nay. Auf dieser Langflöte spielte er getragene Musik der gemeinsamen Trauer. Die Gummersbacher Kantorei sang dreistimmig das lateinische "Dona nobis Pacem" - Herr gib uns Deinen Frieden. Das Publikum stimmte mit ein.
Marion Reinecke, Vorsitzende des Freundeskreises Nümbrecht-Mateh Yehuda, sagte nach dem Gedenken: "Die Bereitschaft miteinander zu kommunizieren, ist ein wichtiges Zeichen."
Medienecho
Ein Jahr Krieg in Israel und Gaza - Interreligiöses Gedenken, Oberberg Aktuell
www.ekagger.de | jth | Text: Judith Thies | Fotos: Kirchenrkreis An der Agger/Vera Marzinski