Liebe Leserinnen und Leser,
Papst Franziskus sagte am 27. Februar letzten Jahres, drei Tage nach Kriegsausbruch: „Legt eure Waffen nieder! Gott ist mit den Friedensstiftern, nicht mit denen, die Gewalt anwenden.“
Was hat der Krieg mit uns in diesem einen Jahr gemacht? Haben wir uns an die Bilder der vielen Toten und Misshandelten gewöhnt?
Wenn ein Mensch in jungen Jahren in unserer Gemeinde stirbt, dann ist die Anteilnahme riesig und der Schmerz unfassbar groß. In den Kriegsberichten spielt ein einzelnes Menschenleben keine Rolle mehr. Es wird allgemein von Verlusten gesprochen. Das Leid der Einzelnen wird ausgeblendet, die Unzähligen, die um ihre Kinder weinen, zählen nicht mehr.
Am 20. Februar las ich von einer Minenattacke der Ukrainer, in der am Vortag 802 russische Soldaten zum Opfer gefallen sein sollen. Junge Menschen, die das Leben noch vor sich hatten und einen sinnlosen Tod starben, von denen kaum einer in diesen Krieg ziehen wollte, betrauert und beweint von Müttern, Vätern, Schwestern und Brüdern. Und auf der anderen Seite die unzähligen Opfer von Bombenangriffen, Folter, Misshandlungen und Vergewaltigungen auf der ukrainischen Seite. Traumatisierte, von herzzerreißender und erbarmungsloser Grausamkeit gequälte Menschen, in denen das Feuer des Hasses aufgelodert ist. Krieg entmenschlicht, enthemmt, entfacht die Spirale von Rache und Vergeltung.
Noch einmal Papst Franziskus: „Sie verlassen sich auf teuflische und perverse Logik der Waffen, die am weitesten vom Willen Gottes entfernt ist.“
Kriege leben von der teuflischen Logik der polemischen Polarisierung durch Gegensätze. Aus Nachbarn werden Nazis, Feinde, schreckliche, böse Monster. Krieg führt in ein binäres Denken: Es gibt nur noch Freund oder Feind, gut oder böse, richtig oder falsch, Sieg oder Niederlage. Alles andere dazwischen gilt als Verrat oder Dummheit. Die Komplexität des Lebens und der Sünde werden ausgeblendet.
Einladung, aus dem Kreislauf der Vergeltung auszusteigen
Ganz anders die Worte Jesu: „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden. Selig die Sanftmütigen; / denn sie werden das Land erben.“ (Matthäus 5)
Und weiter: „Alles, was ihr wollt, das euch die Menschen tun, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten.“ (Matthäus 7)
Diese Worte sind eine Einladung, aus dem binären Denken und Fühlen, aus dem Kreislauf der Vergeltung auszusteigen und einen dritten Weg zu suchen. Wir dürfen nicht aufhören, dafür zu beten, dass sich dieser dritte Weg auftut für die Menschen, die an den Entscheidungshebeln der Macht stehen, dass sie diesen dritten Weg überhaupt noch in Erwägung ziehen.
Markus Aust ist Pfarrer in der Ev. Kirchengemeinde Gummersbach
www.ekagger.de | jth | Text: Markus Aust | Fotos: Kirchenkreis An der Agger/J. Thies; Aust/privat