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1. THEOLOGISCHES SOMMERGESPRÄCH  „Luther war ein Naturtalent“

  • Bildung & öffentliche Verantwortung

Der Kirchenkreis An der Agger feiert 500 Jahre Neues Testament auf Deutsch. Prof. Andreas Mühling aus Trier nahm die Gäste des ersten theologischen Sommergesprächs kenntnisreich und humorvoll mit in die deutsche Sprach- und Kulturgeschichte 

Der Theologe Dr.  Andreas Mühling selbst ist begeistert vom sprachlichen Reichtum Martin Luthers.  Er zitiert den Protestanten Goethe: „Wir wissen gar nicht, was wir Luthern und der Reformation im Allgemeinen alles zu verdanken haben.“ Mühling  ist Professor für Evangelische Kirchengeschichte und Pfarrer der Studierendengemeinde an der Universität Trier, Vorsitzender des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte und auch Mitglied der Goethe-Gesellschaft. „Deshalb gucke ich mir immer auch an, was der Altmeister sagt.“

Goethe habe sich bei Luther Vokabeln, Grammatik und Redewendungen abgeguckt. Andere Bibelübersetzungen, etwa die Zürcher Bibel des Schweizer Reformators Zwingli, seien sprachlich viel genauer am griechischen Original. „Aber die sind nicht so schön.“ Auch die Brüder Grimm hätten Luther geschätzt und mit ihrem Wörterbuch und ihren Märchen Sprache und Ethik Luthers weitergegeben.

Der Kirchenkreis An der Agger hatte zum ersten theologischen Sommergespräch einen Theologen und Historiker mit Leidenschaft für Kirchengeschichte  eingeladen zur Frage: „Wie prägte die Bibelübersetzung unsere Sprache und Kultur?“ Superintendent Michael Braun begrüßte rund 50 Gäste im evangelischen Gemeindehaus Engelskirchen, die sich bei einem Imbiss auf das Thema einstimmten. Musikalisch wurde der Abend eingerahmt von Katharina Schmidtke-Krüll, Organistin der Kirchengemeinde Engelskirchen. Sie spielte aus Johann Sebastian Bachs „Das Wohltemperierte Klavier I“ das Präludium B-Dur und das Präludium As-Dur.

Dem Referenten gefiel es in Engelskirchen: "Bei Ihnen war ich noch nicht. Das ist so schön hier, ich bin ganz begeistert." Die Regionalbahn 25, die wiederholt laut quietschend vorbei fuhr, verglich er mit der Pariser Metro. "Die fährt auch alle zehn Minuten. Gut, dass Sie eine Bahnverbindung haben, bewahren Sie sich die. Das nächste Mal komme ich mit dem Zug."

Neues Testament war sofort ein großer Erfolg 

Jeder kennt die gängigen Redewendungen aus Luthers Bibel: "Die Ersten werden die Letzten sein"; "Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach"; "Jemanden geht ein Licht auf". Diese Formulierungen hat Luther mit seiner Übersetzung des Neuen Testaments 1522 geprägt. Den Text übersetzte er während seiner Festsetzung auf der Wartburg ins Deutsche, in die Sächsische Kanzleisprache. „In nur elf Wochen!“, betonte Mühling. 

3000 Exemplare des Septembertestaments waren innerhalb von drei Monaten vergriffen. „Die Bibel war sofort ein großer Erfolg – trotz des hohen Preises. Die Bibel gab es bald in jedem fünften städtischen Haushalt.“ Der Obrigkeit habe das gefallen, sie habe die Verbreitung massiv gefördert. „Für die Politik war es ungeheuer interessant, die Bevölkerung, Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, durchs Vorlesen und Lesen zu alphabetisieren und auf ethische Grundlagen einzuschwören", sagte Mühling. „Das war enorm wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg.“ 

Luther brachte die eigene Theologie unter das Volk

Das Erfolgsrezept Luthers war seine verständliche Sprache. Mühling beschreibt Luther als großartigen und warmherzigen Seelsorger, der in erster Linie verstanden werden wollte. „Luther wusste: Ich darf nicht wörtlich übersetzen, ich muss sinngemäß übersetzen, ansprechend und verständlich.“  Das habe Luther "unglaublich gut" gekonnt, lobte Mühling. "Luther war ein Naturtalent."

"Nehmen Sie selbst mal wieder die Bibel in die Hand!"

Durch die freie Übersetzung habe er interpretiert und damit seine eigene Theologie - anfangs unbewusst - unters Volk gebracht. Der evangelische Grundsatz „Allein durch den Glauben“ etwa stehe so nicht im Originaltext, sondern sei eine theologische Zuspitzung Luthers. Mühling: "Sie können gerne bei dieser Formulierung bleiben. Man hat immer die Freiheit zu interpretieren, jede Übersetzung ist eine Interpretation."

Andreas Mühling ermunterte, zu Hause die Bibel in die Hand zu nehmen und Theologie zu betreiben. „Wenn Sie die Zürcher Übersetzung haben, nehmen Sie die Lutherbibel und noch die Einheitsübersetzung dazu, dann haben Sie die ganze Bandbreite.“ Die Neuübersetzung der Lutherbibel von 2017 findet Mühling übrigens „schwierig“. Nah am Originaltext und nah an Luthers Sprache – „das ist eine Quadratur des Kreises“.

Superintendent Michael Braun, gebürtig aus Ostfriesland, liest jeden Morgen in der Bibel. Zur Verblüffung des Referenten setze er auf „das Original“, wie er augenzwinkernd verriet: „Meine Frau und ich lesen morgens die Losungen gerne auf Plattdüütsch.“ Braun lud die Gäste des gelungenen ersten theologischen Sommergesprächs ein, sich die Faksimile-Ausgabe der Lutherbibel in der Mediathek des Kirchenkreises An der Agger auszuleihen. „Das Newe Testament Deutzsch. Septembertestament. Wittenberg 1522“ hat die Deutsche Bibelgesellschaft in einer limitierten Auflage von 500 Stück herausgegeben, die schon vergriffen ist.

"Wann sehen wir uns wieder?", rief jemand in den Schlussapplaus. Schulreferent Matthias Weichert versicherte,  dass er Professor Mühling bald wieder in den Kirchenkreis einladen will.  

 

Video: Mouhanad Khorchide über die Bergpredigt 

Am 5.9.2022 hatte der Kirchenkreis An der Agger den Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide zu Gast. Er las anlässlich des Jubiläums „500 Jahre Neues Testament auf Deutsch“ mit Schülerinnen und Schülern des Wiehler Bonhoeffer-Gymnasium aus der Bergpredigt. Das Video vom Abend gibt es hier:

500 JAHRE NEUES TESTAMENT  Mouhanad Khorchide liest mit Schülern die Bergpredigt. Mit Video

www.ekagger.de | jth | Text: Judith Thies | Fotos: Kirchenkreis An der Agger/M.Stadler, J.Thies 

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Professor Andreas Mühling wohnt in der Südeifel und lehrt Kirchengeschichte an der Uni Trier. Intensive Bibellektüre mit Textvergleichen der verschiedenen Übersetzungen ist für ihn "sinnvoll verbrachte Zeit"

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Im evangelischen Gemeindehaus Engelskirchen mit Blick auf die Kirche sorgte Professor Mühling für einen inspirierenden Abend

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Nach dem Schlussapplaus war noch länger Zeit für Gespräche mit Prof. Mühling. Unter den letzten Gästen waren Prädikantin Claudia Braun (v.re.), Superintendent Michael Braun, Schulpfarrerin Kerstin Moldrickx, Georg-Wilhelm Overbeck, Presbyter aus Marienheide und Pfarrer Johannes Vogelbusch aus Engelskirchen