Die angeblich lustige Geschichte vom Hans-Guck-in-die-Luft aus dem „Struwwelpeter“ geht ja vergleichsweise glimpflich aus. Der unaufmerksame Junge mit der roten Schulmappe kommt dankbarerweise nicht zu Tode, sondern fällt lediglich ins Wasser und wird von den Fischen ausgelacht.
Warum? Weil er nicht gebeugten Hauptes auf seinen nächsten Schritt konzentriert war, sondern in der Gegend herumstaunte.
Wie jammerschade, dass das kindliche Staunen zeitweise derart in Verruf geraten war. Mühsam wollen es sich die meisten Erwachsenen wieder antrainieren. Mit Ratgeberliteratur wird fleißig die abhandengekommene Gedankenverlorenheit gesucht und das fröhliche Vertändeln geschenkter Zeit erneut gelernt. Ein Widerspruch in sich! Den Meisten ist unumkehrbar geschehen, was Joachim Ringelnatz so treffend dichtete:
„Das Sonderbare und Wunderbare
Ist nicht imstande, ein Kind zu verwirren.
Weil Kinder wie Fliegen durch ihre Jahre
Schwirren. – Nicht wissend wo sie sind.
Nur vor den angeblich wahren
Deutlichkeiten erschrickt ein Kind.
Das Kind muss lernen, muss bitter erfahren.
Weiß nicht, wozu das frommt.
Hört nur: Das muß so sein.
Und ein Schmerz nach dem andern kommt
In das schwebende Brüstchen hinein.
Bis das Brüstchen sich senkt
Und das Kind denkt.“
Der Wochenspruch kann kein Allheilmittel gegen das vernunftgesenkte Brüstchen sein. Aber wohl eine kleine Erinnerung daran, dass noch vor allem Denken und Fragen das Staunen kommt.
Im feierlichen Schöpferlob (Evangelisches Gesangbuch 331) steht es übrigens im Auftrage der Demut: „Vor dir neigt die Erde sich und bewundert deine Werke.“ Kommt also her und lasst eure angestrengte Konzentration auf den nächsten Schritt von Gottes Unbegreiflichkeit durchbrechen, die er doch unablässig an uns Menschenkindern wirken lässt. Amen.
Ihre
Pfarrerin Silke Molnár
Archiv: Silke Molnár wurde zur Pfarrerin ordiniert
Das Gedicht stammt aus: Ringelnatz, Joachim: „Doch ihre Sterne kannst du nicht verschieben“, In: Ders.: 103 Gedichte, Berlin 1933, S. 50-51.
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www.ekagger.de | jth | Fotos: Harald Hüster, Silke Molnár